Donnerstag, 24. Oktober 2013

[Gastrezension] "Er nannte mich Fräulein Gaga" von Sandra Winkler






Titel: Er nannte mich Fräulein Gaga
Untertitel: Macken, Ticks und meine Versuche, sie in 111 Tagen loszuwerden
Autor: Sandra Winkler
Genre: Sachbuch
Verlag: FISCHER Taschenbuch (26. September 2013)
ISBN: 978-3596196616
Seiten: 240




Manche Menschen haben spezielle Ticks: In David Beckhams Kühlschrank steht immer eine gerade Anzahl an Getränkedosen, Jessica Alba bekommt Kurzschlusspanik, sobald sich ein Elektrogerät im selben Raum befindet – und Sandra Winkler prüft täglich, ob die Fußmatten der Nachbarn im rechten Winkel liegen. Beim Autofahren denkt sie ständig, sie könnte jemanden totfahren, sie muss immer die Knöpfe herumliegender Hosen schließen und kann's kaum ertragen, wenn Schuhe auf den Schnürsenkeln stehen.
Von Macken aller Art, und ob man sie unter anderem durch Coaching oder Hypnose wieder los wird, erzählt Sandra Winkler wunderbar selbstironisch, höchst sympathisch und unterhaltsam in ihrem Buch.
(Bild- und Textquelle: Fischer)






Einstieg ins Buch:
Die Nachricht, die auf mein Handy gesprungen kam, konnte nur von Martin stammen. Um sieben Uhr früh schickte mir wohl sonst niemand eine SMS.

Das unterhaltsamste Sachbuch, das ich je gelesen habe ...

Auf den ersten Blick wirkt „Er nannte mich Fräulein Gaga“ von Sandra Winkler mit dem quietschpinken Einband wie ein Gute-Laune-Buch für die Liebhaberinnen von seichter Frauenliteratur. Doch schon im ersten Kapitel stellt man fest, dass diese Einschätzung ganz und gar nicht zutrifft. Denn die Autorin greift mit ihrer Geschichte ein Thema auf, das viele Jahre lang tabuisiert wurde, allerdings in der letzten Zeit langsam, aber stetig an die Öffentlichkeit gelangt: Zwangserkrankungen. Diese psychische Krankheit äußert sich in Form von verschiedensten Zwangsgedanken und/oder –handlungen, die dem Betroffenen selbst absurd erscheinen und unter denen er teilweise Höllenqualen leidet. Bei Sandra Winkler sind es die Fußmatten vor den Wohnungstüren der Nachbarn, die ihr das Leben schwer machen, indem sie sie zwanghaft gerade rücken muss, wann immer sie daran vorbeigeht. Was noch wie ein lustiger Spleen anmutet, wird bei ihrem nächsten Problem schon weniger spaßig: Obwohl Sandra Winkler im Besitz eines Führerscheines ist, wird jede Autofahrt für sie zum Höllentrip. Ständig lebt sie in der Angst, jemanden zu überfahren. Also vermeidet sie die aktive Teilnahme am Straßenverkehr hinter dem Steuer – was ihre Panik allerdings weiter steigert. So beschließt sie, gegen den Teufelskreis aus Zwang, Angst und Vermeidung anzugehen – und probiert dabei die unterschiedlichsten Methoden aus.

Mit „Er nannte mich Fräulein Gaga“ präsentiert Sandra Winkler ein Sachbuch in Romanform, das nicht nur hervorragend informiert, sondern auch gut unterhält. Dabei verspottet sie die Zwangserkrankten jedoch in keinster Weise, geht das Thema aber mit einem gesunden Humor an, der bei dieser Krankheit unerlässlich ist, wenn man nicht verzweifeln will. Die Autorin hat sehr gründlich recherchiert und steht auch Methoden offen gegenüber, von denen die Schulmedizin nicht zu einhundert Prozent überzeugt ist. So versucht sie es unter anderem mit Hypnose, einer Konfrontationstherapie, teuren Sitzungen bei einem Coach, einem Meditationskurs und gar einer Sitzung bei einer Schamanin, um sich von den störenden Zwängen zu befreien. Sie fragt die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen um Rat und reist für ihre Recherchen quer durch die Republik. Ihre drei besten Freundinnen weiht sie in ihre Pläne ein und lässt sie an Erfolgen teilhaben, berichtet aber auch vom Scheitern. Dass Sandra Winkler im Vergleich zu anderen Zwangskranken ein eher leichter Fall ist, stellt sie fest, als sie sich einer Selbsthilfegruppe anschließt. Ich hätte mir gewünscht, dass sie auf die verschiedenen Formen und Auswüchse des Zwangs noch ein wenig näher eingeht. So reißt sie zwar an, welche Inhalte die Krankheit haben kann (vom Waschzwang bis hin zu aggressiven Zwangsgedanken), aber dass ein noch intensiver von dieser schrecklichen Krankheit Betroffener zu Wort kommt, hätte das Verständnis von Menschen, die noch nie etwas von Zwangskrankheit gehört haben, dafür womöglich erhöht. Auch ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur und Kontaktmöglichkeiten im Anhang wäre aus meiner Sicht von Vorteil gewesen.

Was mir am Buch wirklich ausnehmend gut gefallen hat, ist der leichte, unkomplizierte und humorvolle Schreibstil von Sandra Winkler. Sie zieht Begebenheiten niemals in die Länge und lässt mit keiner Silbe auch nur den Anflug von Langeweile zu. Ich habe das Buch an einem einzigen Nachmittag komplett gelesen. Außerdem vermittelt die Autorin mit ihrer eigenen Geschichte etwas sehr Wertvolles: Nämlich, dass man nie die Hoffnung aufgeben darf. Ja, sie macht Mut mit ihrem Buch.





Mein Fazit lautet deshalb: „Er nannte mich Fräulein Gaga“ ist das unterhaltsamste Sachbuch, das ich je gelesen habe. Auch wenn ein paar weitere Informationen wünschenswert gewesen wären, ermutigt sie Betroffene zur Therapie und sensibilisiert die Öffentlichkeit für das Thema Zwang. Mich persönlich hat sie außerdem zum Kauf eines Meditationskissens verführt.








Sandra Winkler wurde 1973 geboren und arbeitet heute als Journalistin in Berlin. Ihre Texte sind u. a. in Welt am Sonntag, Vanity Fair, Stern und Zeit erschienen. Während ihr erstes Buch »Männerpolitur« von den Marotten der Männer handelt, beschäftigt sie sich in ihrem aktuellen Buch mit den eigenen Macken und wie sie sie wieder loswird.
(Textquelle: Fischer)


©  Stephanie Manig


2 Kommentare:

  1. Liebe Nicole, vielen Dank, dass ich das Buch lesen und rezensieren durfte!

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  2. Sind wir nicht alle ein bisschen Gaga? ;) Klingt total witzig und ich musste gerade alle meine Macken im Kopf durchgehen ;)

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